Börse verbindet Menschen, Märkte und Möglichkeiten

11. März 2019

Börse verbindet Menschen, Märkte und Möglichkeiten Hauke Stars, Vorstandsmitglied der Deutschen Börse AG

Zusammenhang zwischen Finanz- und Realwirtschaft sichtbarer machen - Der Börsengang muss attraktiver werden - Steuerpolitik ist ein wichtiger Hebel

18 Börsengänge mit einem Emissionsvolumen von rund 12 Mrd. Euro - für den Finanzplatz Frankfurt war das IPO(Initial Public Offering)-Jahr 2018 das beste seit der Jahrtausendwende. Mit Siemens Healthineers (Volumen 4,2 Mrd. Euro) und Knorr-Bremse (Volumen 3,8 Mrd. Euro) waren zwei Börsenneulinge sogar weltweit unter den Top 10.

Titel: Hauke Stars, Mitglied des Vorstands, Deutsche Börse AG
Der Erfolg hat in der Regel viele Gesichter, und sicher sind die Attraktivität der Geschäftsmodelle der Emittenten und das Marktumfeld die wichtigsten davon. Und doch ist es nicht vermessen, hier auch das Ökosystem für Wachstum zu nennen, an dessen Ausbau die Deutsche Börse maßgeblich beteiligt ist. Dabei geht es darum, im Zusammenspiel mit vielen Akteuren aus Politik und Wirtschaft ein Umfeld zu schaffen, in dem Unternehmen Zugang zu Kapital erhalten und ihre Wachstumsambitionen finanzieren können. Bereits vor vier Jahren haben wir das Deutsche Börse Venture Network geschaffen, dessen Internationalisierung wir derzeit vorantreiben.

Mittlerweile sind mehr als 500 Unternehmen und Investoren auf dieser vorbörslichen Plattform versammelt. Bei unseren Investor Talks lernen die Start-ups ausgewählte Investoren im kleinen Kreis kennen - und das nicht nur am Finanzplatz Frankfurt, sondern auch in New York, London, Paris oder mitten im Silicon Valley, in Palo Alto. In über 80 Finanzierungsrunden konnten sie über 2 Mrd. Euro einsammeln. Die Vorbereitung auf einen möglichen Börsengang gehört selbstverständlich auch dazu - und so stammen bereits sieben IPOs am Finanzplatz Frankfurt aus diesem Netzwerk: Va-Q-tec, Delivery Hero, Hellofresh, Naga, Nfon, Home24 und Creditshelf.

Ein zweiter Pfeiler unserer Strategie ist die Einführung des Segments Scale, das am 1. März seinen zweiten Geburtstag gefeiert hat. Durch die mit Scale neu eingeführten Kriterien, Services und Indizes sind Liquidität und Visibilität der Unternehmen deutlich gestiegen. Die Zahl der in Scale gelisteten Aktien hat sich mittlerweile auf über 50 erhöht. Im Schnitt haben sich die dort gelisteten Aktien positiv entwickelt, der Scale All Share Index stieg seit März 2017 um rund 10 %. Der im Februar 2018 gestartete Scale-30-Auswahlindex, der die Wertentwicklung der 30 liquidesten Aktien im Segment misst, konnte sich mit einem leichten Rückgang auf Jahressicht nicht ganz von den europäischen Aktienmärkten abkoppeln.

Mit dem Ökosystem für Wachstum hat die Deutsche Börse ihre Dienstleistungspalette stetig weiterentwickelt und engagiert sich jetzt stärker als zuvor im vorbörslichen Bereich. Damit gehen wir Themen an, die immer wieder genannt werden, wenn es um die im weltweiten Vergleich schwache Kultur der Eigenkapitalfinanzierung und das für Gründer weniger günstige Umfeld geht. Die guten Zahlen aus unserem Segment Scale und die Erfolge unserer vorbörslichen Initiativen dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Börsenkultur in der größten Volkswirtschaft Europas im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften hinterherhinkt. Während wir 18 Börsengänge in Deutschland als Erfolg feiern, waren es in London 82, in ganz Europa 313 und weltweit 1177.

Warum die Unternehmensfinanzierung in Deutschland so stark auf Fremdkapital ausgerichtet ist, viel stärker als etwa in den USA oder auch in anderen europäischen Ländern, ist oft genug analysiert worden und am Ende vielleicht auch ein kulturelles Phänomen. Dies kann jedoch zu einem Hemmschuh werden, wenn die großen Herausforderungen der Zeit einen immer größeren Kapitalbedarf hervorrufen. Beispiel "Industrie 4.0": Die intelligente Vernetzung von Menschen, Maschinen und Prozessen gilt als eine fundamentale Veränderung in der Wirtschaft und beeinflusst dabei nicht nur Arbeitsprozesse und Geschäftsabläufe.

Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), virtuelle Realität oder Cloud Computing führen zur Entstehung neuartiger Produkte und Dienstleistungen. Vor allem der deutsche Mittelstand - traditionellerweise im Familienbesitz - wird zur Umsetzung dieser kapitalintensiven Transformationsvorhaben neben einer langfristig ausgerichteten Strategie und starken internen Ressourcen auch externe Finanzierungsmittel brauchen. Der Gang an die Börse eröffnet diese neuen Entwicklungschancen - nachhaltiger als Kredite und mit der wiederkehrenden Option einer Kapitalerhöhung.

Stärkere Wahrnehmung

Eine zweite Herausforderung, der besonders Mittelständler gegenüberstehen, ist der Mangel an Fachkräften. Mittelständische Unternehmen, häufig jenseits von Ballungszentren ansässig, sind oft nicht genug in den Köpfen verankert, um hochqualifizierte Mitarbeiter anzuziehen. Mit einem Börsengang werden Unternehmen öffentlich stärker wahrgenommen und sprechen gleichzeitig Mitarbeiter an, die es wertschätzen, über Aktien unmittelbar am geschäftlichen Erfolg beteiligt zu sein.

Aber auch Großkonzernen bietet der Börsengang eines Unternehmensbereiches neue Entwicklungschancen und mehr Handlungsspielraum. Ein gutes Beispiel dafür ist der IPO von Siemens Healthineers, der größte an der Frankfurter Börse im Jahrgang 2018. Mit der unternehmerischen Ausgliederung ist die Medizintechniksparte von Siemens im Markt sichtbarer geworden und wird nun im spezifischen Wettbewerbsumfeld besser eingeordnet. Die Deutsche Börse kennt und versteht durch ihre eigene Historie und langjährige Erfahrung mit den vielfältigsten Emittenten die Bedürfnisse von Unternehmen aller Größenordnungen und Sektoren und kann ihnen als eine der führenden globalen Börsenorganisationen den Zugang zu einem schier unerschöpflichen Pool an Kapital und Liquidität verschaffen.

Was die Politik noch beisteuern könnte zum Ökosystem für Wachstum, sind bessere Rahmenbedingungen. Der Börsengang muss - auch aus Investorensicht - attraktiver werden. Ein wichtiger Hebel dazu ist die Steuerpolitik. Derzeit sind Fremdkapitalzinsen als gewinnmindernder Aufwand steuerlich absetzbar. Ein vergleichbares Instrument für Eigenkapital fehlt hingegen - anders als etwa im Nachbarland Belgien, wo ein fiktiver Zinsaufwand auf das Eigenkapital von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden kann. Eine steuerliche Gleichstellung von Eigen- und Fremdkapital wäre auch hierzulande ein Anreiz zur Steigerung der Eigenkapitalquote in den Unternehmen.

Steuerliche Anreize könnten auch dafür sorgen, dass der langfristige Besitz von Aktien attraktiver und damit die Aktienkultur in Deutschland gefördert wird. Italien macht es vor: Für individuelle Sparpläne, die unter der Bezeichnung PIR firmieren, müssen Anleger keine Steuern auf ihre Gewinne zahlen, sofern sie das Geld für mindestens fünf Jahre anlegen.
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Regulierungserleichterungen der EU für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) unterstützt. Seit einem halben Jahr entfällt für öffentliche Wertpapierangebote bis 8 Mill. Euro die Prospektpflicht. Und ab Juli 2019 reicht ein vereinfachter EU-Wachstumsprospekt.

Die Liste der Verbesserungsvorschläge könnte noch fortgeführt werden. Wichtig ist jedoch festzuhalten, dass alles, was den IPO-Markt positiv beeinflusst, dem Wachstum der deutschen Wirtschaft dient. Was vordergründig aussieht wie technische Interna eines Finanzplatzes, sind in Wahrheit existenzielle Themen der Realwirtschaft. Schon eine geringe Verschiebung in der Unternehmensfinanzierung zugunsten von Eigenkapital würde zusätzliche Wachstumspotenziale für Deutschland bringen. Die Deutsche Börse bietet die Plattform, auf der Menschen, Märkte und Möglichkeiten zusammenkommen.

Diesen Zusammenhang zwischen Finanz- und Realwirtschaft für alle sichtbarer zu machen - das ist die Idee, die hinter dem Ausbau des historischen Börsengebäudes in der Frankfurter Innenstadt steht. Frankfurt ist die Leitbörse der größten europäischen Volkswirtschaft; der Handelssaal - übrigens der einzig verbliebene seiner Art in Europa - ihr Markenzeichen. Ihn wollen wir ausbauen zu einem neuen Zentrum für Börsengänge. Diese berühmte Kulisse zu nutzen, um individuelle Erfolgsgeschichten zu präsentieren - das ist eine kommunikative Chance vor allem für weniger bekannte Mittelständler. Mit dem Gütesiegel "Listed in Frankfurt" und der Börsenglocke schaffen sich die Unternehmen die Aufmerksamkeit für ihre Botschaften an den Kapitalmarkt.


Zu unserem Plan, für den wir im Januar die Baugenehmigung erhalten haben, zählt auch ein Konferenzzentrum sowie ein neuer, zweistöckiger Empfangsbereich in den Räumen hinter der Dax-Tafel, der einerseits für IPOs, aber auch für weitere Veranstaltungen im Herzen Frankfurts genutzt werden kann. Debatten und Kontroversen hier auszutragen, passt ebenso hervorragend zu unserem Anspruch, Menschen, Märkte und Möglichkeiten zu verbinden.

Junge Menschen im Fokus

Schließlich wollen wir im Rahmen des Umbaus auch einen Beitrag zur "financial literacy" leisten. Schon heute besuchen pro Jahr rund 35 000 Menschen aus aller Welt die Frankfurter Wertpapierbörse. Mit einem modernen, interaktiven Besucherzentrum werden wir vor allem noch mehr jungen Menschen das Börsengeschehen und die Funktionen der Finanzmärkte näherbringen können. Denn Finanzwissen ist der Schlüssel zu einer besseren Aktienkultur. Und letztlich sollten sich auch mehr Privatanleger für die Erfolgsgeschichten an der Börse interessieren.

Der Artikel ist zuerst in der Börsen-Zeitung am 6. März 2019 erschienen.