Börsen-Zeitung: "Ein Finanzplatz mit Zukunft", Gastbeitrag von Eric Leupold, Head of Cash Market, Deutsche Börse AG

01. März 2023

Börsen-Zeitung: "Ein Finanzplatz mit Zukunft", Gastbeitrag von Eric Leupold, Head of Cash Market, Deutsche Börse AG

Wertpapierbörsen sind ein wesentlicher Bestandteil für einen zukunftsfähigen Finanzplatz. Für moderne Börsen kommt es dabei darauf an, Digital Assets und Zugang zum Private Market in ihr Geschäftsmodell in Zukunft miteinzubeziehen.

Titel: Eric Leupold, Head of Cash Market, Deutsche Börse AG

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, stellte einst der griechische Philosoph Heraklit fest. Die Lebensweisheit verdeutlicht: Weiterentwicklung, Wandel und Innovation sind ständiger Begleiter der Kapitalmärkte – und für unseren Finanzplatz. Was aber macht einen erfolgreichen Finanzplatz aus?

In erster Linie steht und fällt ein zukunftsfähiger Finanzplatz mit starken Wertpapierbörsen als wesentlicher Motor der Volkswirtschaft. Sie schaffen regulierte, transparente und verlässliche Marktplätze, die Unternehmen Zugang zu Kapital geben und Investoren Anlagemöglichkeiten bieten. Mit privaten Kapitalmärkten wie Private Equity und Venture Capital sowie digitalen Vermögenswerten sind neue außerbörsliche Anlageklassen entstanden, die den öffentlichen Kapitalmarkt komplementieren. Auch in diesen Bereichen möchten wir als Deutsche Börse eine führende Rolle spielen und haben dafür die Grundsteine gelegt.

Start-ups bleiben immer länger privat

Das niedrige Zinsumfeld der letzten Jahre hat enorme Kapitalflüsse in den privaten Kapitalmarkt begünstigt und Unternehmensfinanzierungen abseits von IPOs katalysiert. Dies zeigt sich anhand der Marktkapitalisierung von insgesamt über 650 Milliarden Euro der insgesamt 700 Unicorn- und Pre-Unicorn-Unternehmen in Europa. Zum Vergleich: Der DAX mit seinen 40 größten Unternehmen kommt auf eine Marktkapitalisierung von mehr als einer Billion Euro. Die dadurch gereiften Venture- und Private Equity-Märkte decken inzwischen eine Bandbreite an Investitionszyklen für verschiedene Entwicklungsstadien ab, welche einen Börsengang für Start-ups immer später attraktiv machen. Nicht zuletzt, da hohe rechtliche und regulatorische Anforderungen an gelistete Unternehmen von einem Börsengang abschrecken. Daher ist es wichtig, dass mit dem erwarteten Zukunftsfinanzierungsgesetz die regulatorischen Rahmenbedingungen für Börsengänge in Deutschland verbessert werden.

Brücke zum Private Market

Während der Private Market in Europa zusehends professioneller wird, bestehen jedoch nach wie vor auch strukturelle Herausforderungen: Mangelnde Effizienz bei der Preisermittlung und ein zu geringer Grad an Digitalisierung und Automatisierung bei Transaktionsprozessen. Dazu kommt, dass wir in Europa fragmentierte, lokal regulierte und beschränkt zugängliche Märkte für Private Equity haben. Hier können Börsen eine prägende Rolle spielen, indem sie Angebot und Nachfrage strukturiert zusammenzuführen, die Preisfindung unterstützen und ein skalierbares und europaweites Angebot schaffen, welches Zugang für einen erweiterten Kreis von Marktteilnehmern und Investoren ermöglicht.

Darüber hinaus kann die Börse eine Brücke vom privaten in den öffentlichen Kapitalmarkt bilden. Für Unternehmen im fortgeschrittenen Wachstumsstadium bietet ein IPO nach wie vor höchste Liquidität und Transparenz, um Investoren langfristig zu binden. Es braucht eine europäische, zentrale Plattform für private Unternehmensanteile mit einer verlässlichen Handelsinfrastruktur. Diese würde Wachstumsunternehmen zum optimalen Zeitpunkt bei der weiteren Expansion ihres Geschäftsmodells unterstützen.

Technologieplattform für Private Market

Auf dem Weg diese zentrale Plattform für den Private Market in Europa zu schaffen, hat sich die Deutsche Börse mit ihrem langjährigen Partner Forge Global zusammengetan. Sie sind in den USA der führende Marktplatz für private Unternehmensanteile. Basierend auf der Technologie und der Private Market-Erfahrung von Forge Global sowie dem Markt- und Regulierungs-Know-how der Deutschen Börse entsteht mit Forge Europe eine technologiebasierte Onlineplattform, die Anteilseigner privater Unternehmen wie Gründer, Mitarbeitern und Risikokapitalgeber mit professionellen Anlegern zusammenbringt. Ziel ist, eine effiziente Strukturierung und Verwaltung von Transaktionen in privaten Wachstumsunternehmen zu ermöglichen.

Neben einem funktionierenden Public Market braucht es einen starken Private Market und lebendige Venture Capital-Märkte. Der Schritt der Deutschen Börse in den Private Market als neue Anlageklasse zu expandieren, leistet einen Beitrag zur Professionalisierung des Venture-Ökosystems in Deutschland und Europa. Eine strukturelle Konvergenz von Public- und Private Markets ist überfällig und wird Markenkern unserer modernen Börse sein.

Die Zukunft der Börse ist digital

Die Konvergenz von Public- und Private Markets ist nicht die einzige Herausforderung für moderne Börsen. Auch die Digitalisierung erfasst die Börsen und ermöglicht neue Geschäftsmodelle. Digital Assets stehen dabei an erster Stelle und sie sind gekommen, um zu bleiben. Die Blockchain-Technologie kann Effizienzgewinne in bestehenden Anlageklassen wie Fondsanteilen oder Anleihen schaffen, illiquide Anlageklassen wie Kunstobjekte und Immobilien investierbar machen oder ganz neue Anlageklassen hervorbringen, wie beispielsweise Kryptowerte.

Digital Assets im Verbund mit einer transparenten und sicheren Handelsplattform stoßen auf ein hohes Interesse. Etablierte Finanzinstitute und klassische Asset Manager, die bei Digital Assets aktiv werden wollen, suchen dabei einen vertrauenswürdigen Partner. Für die Wertpapierbörse des 21. Jahrhunderts ist es daher entscheidend, nach Jahren der Wildwest-Stimmung, Vertrauen durch eine sichere Infrastruktur für digitale Märkte zu schaffen.

Digitales Ökosystem nötig

Anspruch unserer modernen Börse ist es, digitale Ökosysteme mitzugestalten. Eine Plattform für Digital Assets wird diese Lücke im Markt füllen. Mit dem Aufbau eines Handelsplatzes für diese neue Anlageklasse könnte die nötige Entwicklung vom teils nicht-regulierten Handel hin zu einem regulierten, börslichen Handel unterstützt werden. Diesen Weg hat die Deutsche Börse mit dem Kauf der Schweizer Crypto Finance AG eingeschlagen, das Engagement bei Digital Assets zu intensivieren und das Geschäftsfeld weiterzuentwickeln. Die Übernahme legt den Grundstein für den Aufbau eines unabhängigen und transparenten Ökosystems für digitale Vermögenswerte unter europäischer Regulierung. Ziel ist, ein umfassendes Angebot aus Handel, Abwicklung, Verwahrung und weiteren Dienstleistungen aus einer Hand zu schaffen.

Zusammen mit Crypto Finance soll ein Zugang zu elektronischen Vermögenswerten, angefangen bei Kryptowährungen über etablierte Systeme, ermöglicht werden. Hierbei hilft die kürzlich bekanntgegebene Partnerschaft mit Google Cloud, die laufende Transformation der Kapitalmärkte hin zu digitalen Wertpapieren weiterzuentwickeln. Vertrauenswürdige Märkte für Digital Assets sind der Schlüssel, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Fazit

Nur ein dynamisches Finanzsystem bleibt dauerhaft stabil. Das dürfte Heraklit uns raten, wenn er heute auf den Finanzplatz Frankfurt blicken würde. Machen wir uns also fit für die Zukunft. Mit modernen Börsen, die den Finger am Puls der Zeit haben, und Antworten finden auf die Herausforderungen der Zukunft. Mit Börsen, die Märkte von morgen schaffen und Wachstumsfinanzierung für Public- und Private Equity aus einer Hand anbieten. Und mit Börsen, die offen sind für den digitalen Wandel und der Nachfrage nach sicheren Digital Assets gerecht werden. Das ist der Anspruch einer modernen und führenden Wertpapierbörse: Vernetzt, digital, europäisch – und verwurzelt in Frankfurt.

Der Artikel ist zuerst in der Sonderbeilage "Finanzplatz Frankfurt" der Börsen-Zeitung am 1. März 2023 erschienen.