Neuer BaFin-Emittentenleitfaden Modul C – Erleichterungen bei Kapitalmarktkommunikation und Transaktionen

08. Juni 2020

Neuer BaFin-Emittentenleitfaden Modul C – Erleichterungen bei Kapitalmarktkommunikation und Transaktionen Noerr LLP

Am 22. April 2020 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) das neue Modul C ihres Emittentenleitfadens zu den Regelungen zur EU-Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation – MAR) veröffentlicht. Darin ist die Verwaltungspraxis der BaFin zu zentralen Fragen des Insiderrechts, der Ad-hoc-Publizität, des Marktmanipulationsverbots und zu Eigengeschäften von Führungskräften zusammengefasst. Wie auch in anderen Fällen hat die BaFin vor Veröffentlichung des neuen Moduls C ein Konsultationsverfahren durchgeführt, indem Marktteilnehmer zu dem Entwurf, der im Juli letzten Jahres veröffentlicht wurde, Stellung nehmen konnten. Betrachtet man die finale Fassung des Moduls C im Vergleich zur Konsultationsfassung, stellt man fest, dass die BaFin an verschiedenen Stellen Anregungen aus dem Markt aufgegriffen hat. Die Änderungen sind insgesamt positiv zu bewerten. Sie erhöhen die Praktikabilität an zentralen Stellen.

Ein häufiger Kritikpunkt im Konsultationsverfahren war die Auslegung des Begriffs der Insiderinformation durch die BaFin. Insbesondere bei sogenannten Zwischenschritt-Insiderinformationen ging die BaFin in ihrem Entwurf noch davon aus, dass eine Insiderinformation bereits frühzeitig ausgelöst werden kann. In der finalen Fassung des Moduls C unterscheidet die BaFin nunmehr solche Zwischenschritte, die aus sich heraus eine Insiderinformation begründen, von Zwischenschritten, die ihre Kursrelevanz erst aus dem Endereignis ableiten. Bei letzteren geht die BaFin jetzt davon aus, dass der Zwischenschritt in der Regel keine Insiderinformation ist, solange das Endereignis noch unwahrscheinlich ist. Ob damit ein Endereignis nur dann nicht mehr unwahrscheinlich ist, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, d.h. mit einer Wahrscheinlichkeit größer 50% zu erwarten ist, bleibt offen. Gleichwohl ist die neue Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Zwischenschritten im Vergleich zur Konsultationsfassung und zu den zuvor veröffentlichten FAQ der BaFin zu Art. 17 MAR ein wesentlicher Schritt in Richtung einer praktikableren Linie. In aller Regel wird ein Zwischenschritt seine Bedeutung nämlich aus dem Endereignis ableiten und damit jedenfalls so lange keine Insiderinformation sein, solange das Endereignis unwahrscheinlich ist. Frühe Zwischenschritte von gestreckten Sachverhalten sind deshalb keine Insiderinformationen mehr, weil das Endereignis in dieser Phase des Prozesses in aller Regel noch unwahrscheinlich ist.

Unabhängig davon bleibt die BaFin auch in der finalen Fassung des Moduls C bei der Aussage, dass eine Insiderinformation umso früher vorliegt, umso gewichtiger das Endereignis ist. Deshalb dürfte die BaFin bei gewichtigen Endereignissen (etwa einer Übernahme der Gesellschaft) tendenziell früher eine Insiderinformation annehmen. Bei gewichtigen Endereignissen wird man in der Praxis daher in der Regel (unabhängig von der neuen Linie der BaFin) vorsorglich etwas früher vom Vorliegen einer Insiderinformation ausgehen, bis sich die neue Linie der BaFin anhand der Verwaltungspraxis konkretisieren lässt. In allen anderen Fällen sollte man die BaFin beim Wort nehmen und bei einem unwahrscheinlichen Endereignis eine Insiderinformation ablehnen. Diese Entscheidung sollte selbstverständlich sorgfältig begründet und dokumentiert werden, um Rückschaufehler zu vermeiden.

Auswirkungen haben die erfolgten Änderungen etwa bei M&A-Transaktionen, einer der am häufigsten diskutierten Fallgruppe von gestreckten Sachverhalten: Wie die BaFin im neuen Modul C des Emittentenleitfaden erläutert, ist der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung, die Teilnahme an einem Bieterverfahren oder die Mandatierung einer Investmentbank mit einer Marktsondierung in der Regel keine Insiderinformationen mehr. Dies ist zu begrüßen, weil das Zustandekommen einer Transaktion in dieser Phase des Prozesses in der Regel noch völlig offen ist. Aber auch nachfolgende Schritte (etwa der Beginn einer Due Diligence Prüfung) müssen noch nicht zwingend zu einer Insiderinformation führen. Entscheidend sind insoweit die Umstände des Einzelfalls.

Auch an anderen Stellen im neuen Modul C geht die BaFin auf Anregungen aus dem Konsultationsverfahren ein. Beim zentralen Thema der Geschäftszahlen und Prognosen gibt die BaFin den Emittenten nun etwas mehr Flexibilität bei der Ermittlung der Markterwartung. Insbesondere ist die sog. Consensusschätzung der Analysten, die bei Fehlen einer Prognose zur Ermittlung der Markterwartung herangezogen wird, nicht mehr alleine maßgeblich. In begründeten Fällen lässt die BaFin auch eine andere Ermittlung zu. Damit wird eine sachgerechte Kapitalmarktkommunikation, insbesondere in der derzeitigen Corona-Ausnahmesituation, erleichtert. Auch ist die Aufrechterhaltung einer Prognose entgegen der Markterwartung anders also noch in der Konsultationsfassung nun keine Insiderinformation mehr. Dies ist ebenfalls zu begrüßen. Gleichwohl bleiben bei der insiderrechtlichen Beurteilung von Geschäftszahlen und Prognosen auch in der finalen Fassung des Moduls C gewisse Unklarheiten (etwa die Frage, wann eine Prognose deutlich von der Markterwartung abweicht oder wie mit „Ausreißerquartalen“ umzugehen ist, wenn die Gesamtjahreszahlen nach Einschätzung des Emittenten noch im Rahmen der Erwartung liegen). Diese Fragen werden sich vermutlich erst in den nächsten Wochen und Monaten anhand konkreter Einzelfälle oder weiterer FAQ der BaFin klären lassen.

Ein weiteres häufig diskutiertes Thema ist die Frage, wie mit Insiderinformationen umzugehen ist, die in den originären Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats fallen. Hierauf kommt es vor allem bei Personalwechseln im Vorstand an, wenn das wechselnde Vorstandsmitglied eine Schlüsselfunktion im insiderrechtlichen Sinne innehatte und der Wechsel damit eine Insiderinformation begründet. Die BaFin vertritt nun die Auffassung, dass der Aufschub von der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch ein vom Aufsichtsrat kontrolliertes Ad-hoc-Gremium oder ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied beschlossen werden kann. Auch wenn letzteres aktienrechtlich nicht evident ist, da ein Beschluss des Aufsichtsrats die Mitwirkung von mindestens drei Mitgliedern voraussetzt, ist die Anerkennung einer Annexkompetenz des Aufsichtsrats für die Aufschubentscheidung in diesen Fällen zu begrüßen. Denkbar ist damit etwa, dass das bestehende Ad-hoc-Gremium der Gesellschaft unter Beteiligung eines Aufsichtsratsmitglieds anstelle eines Vorstandsmitglieds den Aufschub beschließt. Ebenfalls denkbar dürfte es sein, dass z.B. der Aufsichtsratsvorsitzende in Eilfällen den Aufschub beschließt und im Anschluss den zuständigen Personalausschuss des Aufsichtsrats den Aufschub bestätigen lässt.

Das neue Modul C des BaFin Emittentenleitfadens wird ein unverzichtbarer Begleiter für Emittenten und andere Kapitalmarktteilnehmer werden. Insofern ist es zu begrüßen, dass die BaFin zahlreiche Anregungen aus dem Konsultationsverfahren aufgegriffen hat und die Praktikabilität des Moduls C damit deutlich verbessert hat. Sofern sich in den nächsten Wochen und Monaten weitere Konkretisierungen der Verwaltungspraxis der BaFin zu den offenen Fragen ergeben, wäre es wünschenswert, wenn die BaFin in bewährter Tradition, wie zuletzt im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie geschehen, durch FAQ für notwendige Klarheit sorgt.

Auch wenn die BaFin durch das Modul C des Emittentenleitfadens an vielen Stellen die Rechtssicherheit für die Marktteilnehmer erhöht hat, steht zu befürchten, dass dieser Zustand nicht lange Bestand haben wird. Bereits im Oktober letzten Jahres hat ESMA nämlich ihr Konsultationspapier zum anstehenden Review der Marktmissbrauchsverordnung (MAR-Review) veröffentlicht und darin zahlreiche Änderungen der MAR zur Diskussion gestellt, die die Komplexität des Marktmissbrauchsrechts und damit die Fehleranfälligkeit für Emittenten weiter erhöhen dürften.

So schlägt ESMA unter anderem vor, einen neuen Art. 17(a) MAR aufzunehmen, der Emittenten verpflichten soll, wirksame Systeme und Kontrollen für die Identifizierung von Insiderinformationen, den Umgang mit und die Veröffentlichung von Insiderinformationen zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Daneben steht zur Diskussion, dass Emittenten künftig auch verpflichtet sein sollen, eine Insiderinformation, deren Veröffentlichung sie zunächst aufgeschoben haben, auch dann an die zuständige Aufsichtsbehörde zu übermitteln, wenn die Information während des Aufschubs ihre Qualität als Insiderinformation verloren hat. Bei den Eigengeschäften von Führungskräften schlägt ESMA vor, das Handelsverbot gem. Art. 19 Abs. 11 MAR über Führungskräfte hinaus auf alle Personen zu erstrecken, die mit diesen in enger Beziehung stehen. Ferner wird diskutiert, die bislang als Safe-Harbor ausgestalteten komplexen und formalen Regelungen zur Marktsondierung (Art. 11 MAR) in zwingendes Recht zu überführen. Der abschließende Bericht sollte an sich bereits im Frühjahr dieses Jahres von ESMA an die Europäische Kommission übermittelt werden, so dass davon auszugehen ist, dass die finalen Vorschläge von ESMA zeitnah veröffentlicht werden.

Die Hoffnung, dass die Änderungen im Zuge des MAR-Review die ohnehin schon bestehende Komplexität des Marktmissbrauchsrechts nicht noch weiter erhöhen werden, dürfte vermutlich nicht in Erfüllung gehen. Im Gegenteil – die Regelungsdichte und die Komplexität der MAR dürfte künftig eher zu- als abnehmen.

Die Autoren

Dr. Michael Brellochs

Partner

Dr. Holger Alfes

Partner

Sebastian de Schmidt

Counsel

 
 

___________________________________________________________________

Die Autoren sind Rechtsanwälte in der Kanzlei Noerr LLP, die an dem Konsultationsverfahren zu Modul C des BaFin Emittentenleitfadens teilgenommen hat.